MENSCHENSKINDER
Samira und die anderen Mädchen sind schon wach. Im Schlafzimmer helfen sie sich gegenseitig, ihre Kopftücher anzulegen, dann geht es an den Frühstückstisch. Es gibt Brot und Tee, die Kinder wuseln durcheinander. Für Samira sind die Jungen und Mädchen wie Geschwister – und das, obwohl die Neunjährige in einem Waisenhaus lebt. Die Unterkunft befindet sich in Kabul, der Hauptstadt von Afghanistan. Weil es in dem Land seit Jahrzehnten immer wieder Krieg gibt, müssen viele K inder ohne Eltern aufwachsen. Samiras Vater starb vor zwei Jahren. Als ihre Mutter sie danach nicht mehr allein versorgen konnte, bekam das Mädchen einen Platz im Kinderdorf „Shamsa“. Hier schließen sich kleine Gruppen zu Ersatzfamilien zusammen: Je eine Frau kümmert sich um zehn Kinder und wohnt mit ihnen in einem eigenen Haus. Samira kann sich mit den anderen austauschen, auf dem Spielplatz toben und: zur Schule gehen. Nach dem Frühstück steigen die Kinder gemeinsam in einen Bus, der sie zum Unterricht fährt: Mathe, Englisch, Sport, ein Computerkurs … Samira weiß, dass all das nicht selbstverständlich ist. Im August 2021 haben in Afghanistan die Taliban die Macht übernommen – eine Terrorgruppe, die strenge religiöse Regeln durchsetzen will und vor allem Frauen und Mädchen unterdrückt. Eine weiterführende Schule besuchen oder gar studieren? Dafür wird Samira ihre Heimat verlassen müssen, denn in Afghanistan ist es ihr nicht erlaubt. Dabei will die Neunjährige unbedingt Ärztin werden. Nachmittags belegt sie sogar weitere Kurse, um ihr Ziel zu erreichen. Entmutigen lässt sie sich jedenfalls nicht. In ihrer Ersatzfamilie hat sie gelernt, dass sie das Zeug dazu hat.