MENSCHENSKINDER
Theodor sammelt ein Ei nach dem anderen aus dem Stroh. Vorsichtig drückt er einen Stempel mit dem Datum auf die Schale und packt immer sechs Eier in einen Karton. „Zurzeit habe ich zwei Hähne, zehn Hühner und zehn Küken“, erzählt er. Nun aber los: Theodor schwingt sich auf sein Fahrrad und fährt mit seiner Ware von Tür zu Tür. Jeder hier kennt den Neunjährigen mit seinem Lieferservice. Das ist nicht schwer, denn die Nachbarschaft auf Kihnu ist überschaubar: 700 Menschen, vier Dörflein, zwei Geschäfte für das Nötigste – viel mehr gibt es auf der kleinen Insel nicht. Gut sieben Kilometer lang und zwei Kilometer breit liegt sie in der Ostsee vor Estland. Theodor ist auf Kihnu geboren und kann sich kein anderes Leben vorstellen. Er liebt die ruhige Umgebung, den Geruch der Kiefernwälder und Wacholderwiesen, die vertrauten Gesichter, die Inselfeste und Bräuche. In der Schule lernen die Kinder neben Mathe und Englisch auch traditionelle Volkstänze und Lieder. Natürlich kennt Theodor auch hier alle Jungen und Mädchen: Insgesamt besuchen bloß 36 Kinder die kleine Inselschule, in seiner Klasse ist Theodor sogar der einzige Schüler! Doch zurzeit sind ohnehin Sommerferien. Theodor besucht seine Freunde, badet im Meer, ist von morgens bis abends draußen unterwegs. Und er hilft auf dem Hof seiner Familie, wo es jede Menge Arbeit auf dem Kartoffelacker, in den Gemüsebeeten und im Gewächshaus gibt. Natürlich ist er mindestens ebenso häufig an seinem Lieblingsort zu finden: im Hühnerstall. Von dem Geld, das er mit den Eiern verdient, will er einen Brutschrank kaufen und seine Zucht erweitern. „Wenn ich in einer Stadt leben würde, wäre das bestimmt gar nicht möglich“, sagt Theodor. Doch die kleine Insel ist für seine großen Pläne gerade richtig.