MENSCHENSKINDER
Hüseyin dreht sich. Die Arme weit ausgebreitet, die Augen geschlossen – ganz so, als wollte er davonfliegen und in eine andere Welt eintauchen. Zusammen mit 36 anderen Jungen und Männern wirbelt er über das Parkett. Die Tänzer sind Derwische: Mitglieder einer muslimischen Glaubensgruppe, die sich mit einem besonderen Tanz ausdrücken. Hüseyins Heimatstadt Konya in der Türkei ist bekannt für die tanzenden Derwische. Und Menschen aus aller Welt kommen, um sie bei ihren Zeremonien zu sehen. Obwohl dabei alle Derwische die gleichen schwingenden Kleider tragen, ist Hüseyin in der Gruppe leicht zu erkennen: Mit seinen zwölf Jahren ist er der jüngste und kleinste Tänzer. Der Junge hat monatelang hart trainiert und seine Derwisch-Prüfung bestanden. Seit acht Monaten ist er Teil des Teams. Nun darf er sogar auf dem berühmten Mevlana-Festival auftreten, das jedes Jahr im Dezember stattfindet. Vor seinem Auftritt legt sich Hüseyin in der Umkleide die traditionellen Kleider an: weiße Hose und Hemd, darüber ein Gewand, das mit einem schwarzen Gürtel befestigt wird. Ganz zum Schluss setzt er sich einen Filzhut, Sikke genannt, auf den Kopf. Er wurde extra für Hüseyin angefertigt, damit er beim Tanzen nicht wackelt oder runterfällt. Endlich geht es los: Hüseyin und die anderen Derwische betreten den Saal. Sie knien nieder, erheben sich mit gekreuzten Armen – und beginnen, zur Musik zu tanzen. Dabei drehen sie sich immer linksherum, wie die Planeten des Sonnensystems. „Schwindlig wird mir dabei nicht“, sagt Hüseyin. Zum Glück, denn die Zeremonie dauert insgesamt eine Stunde. Der Tanz der Derwische hat einem festen Ablauf und ist eine Art Gebet. Bei ihren Drehungen halten die Tänzer stets eine Hand zum Himmel geöffnet, um Gutes von Gott zu empfangen. Die andere Handfläche zeigt nach unten, um Gottes Gaben an die Menschen weiterzugeben. Hüseyin ist völlig in seinen Bewegungen und Gedanken versunken – und das, obwohl ihm mehr als 1000 Leute zusehen. Der Zwölfjährige sagt: „Ich vergesse einfach, dass sie da sind.“